S. E. Ellis Nilsson: Creating Holy People and Places on the Periphery

Titel
Creating Holy People and Places on the Periphery. A Study on the Emergence of Cults of Native Saints in the Ecclesiastical Provinces of Lund and Uppsala from the Eleventh to the Thirteenth Centuries


Herausgeber
Ellis Nilsson, Sara E.
Erschienen
Göteborg 2015: (0)
Anzahl Seiten
391 S.
Preis
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Oertel, Historisches Institut, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Seit der Jahrtausendwende erfreut sich die Christianisierung Skandinaviens als Forschungsobjekt großer Beliebtheit. Die wissenschaftliche Reflexion darüber, dass die Bewohner der Skandinavischen Halbinsel vor etwa 1000 Jahren begannen, sich als Teile des orbis Christianus zu betrachten, mündete um die Jahrtausendwende in mehrere große Forschungsprojekte in Island, Schweden und Norwegen, die diesen Übergang von der nordischen zur christlichen Religion untersuchten. Die Ergebnisse des schwedischen Projekts "Kristnandet i Sverige" (Die Christianisierung in Schweden), das bereits in den 1990er-Jahren durchgeführt wurde, „laid the foundation for further analysis in this field, including this dissertation“ (S. 23). Die in den erwähnten Großprojekten bearbeiteten Zeiträume reichten zurück bis in die römische Kaiserzeit, fanden ihren chronologischen Abschluss aber meist mit der Errichtung der skandinavischen Erzbistümer in Lund (1103/04), Nidaros (1153) und Uppsala (1164), da mit diesen Gründungen die entscheidenden kirchlichen Strukturen angelegt und die Christianisierungen „offiziell“ abgeschlossen waren. Nur wenige, vor allem regional stark fokussierte Studien, überschritten die Grenze zum 13. Jahrhundert.

Hier setzt Sara E. Ellis Nilsson mit ihrer Untersuchung an, die vor allem den Zusammenhang zwischen dem Auftauchen der Kulte neuer, einheimischer Heiliger und der Festigung der kirchlichen Strukturen und institutionellen Identitäten in den Vordergrund stellt. Der Zusammenhang zwischen neuen Heiligen und neugegründeten Diözesen wurde – vor allem für die Kirchenprovinz Uppsala – in der Forschung schon mehrfach konstatiert.1 Man begnügte sich aber meist mit der reinen Beobachtung des Tatbestandes; eine tiefer gehende, gründliche und systematische Untersuchung dieser Verbindung für zwei skandinavische Kirchenprovinzen liefert nun erstmals die hier zu besprechende Dissertation. Ihr theoretisches Grundgerüst der Konstruktion von loca sanctorum und der Festigung der inneren Kohäsion von „Micro-Christendoms“ durch die Gründung und Förderung von Heiligenkulten baut vor allem auf den Forschungen von Allan Thacker und Peter Brown auf.2 Um ihre These, dass die Kulte einheimischer Heiliger für die Bildung regionaler christlicher Gemeinschaften von eminenter Bedeutung waren, auf möglichst breiter Basis belegen zu können, untersucht die Autorin die Kulte von insgesamt 23 Heiligen aus den Erzdiözesen Lund und Uppsala. Olaf dem Heiligen von Norwegen als einzigem universellen Heiligen des Nordens widmet sie ebenfalls ein kleines Kapitel (S. 96f.). Viele der behandelten Heiligenkulte waren seit der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, als sich vor allem die Mediävistinnen Toni Schmid in Schweden und Ellen Jørgensen in Dänemark mit ihnen befassten, nicht mehr Gegenstand wissenschaftlicher Beschäftigung.3

Den Anfang der Göteborger Dissertation bilden im einleitenden Kapitel (S. 1–65) zwei kurze Überblicke über die Rolle der Heiligen in der mittelalterlichen Gesellschaft und die Christianisierung Skandinaviens, die die neuere skandinavische und anglophone Forschung zu diesen Themenbereichen gut aufarbeiten. Nach der Vorstellung des Forschungsstandes definiert Ellis Nilsson das Ziel ihrer Arbeit folgendermaßen: „It aims to illustrate and explain the connections between the establishment of new cults and the formation of an ecclesiastical organization and administration” (S. 25). Mit “new cults” ist dabei die Verehrung von Heiligen gemeint, die in einer bestimmten dänischen oder schwedischen Diözese wirkten – nicht aber notwendigerweise auch dort geboren wurden – und deren Verehrung eben dort nach ihrem Tod begann. Bei einigen Heiligen blieb ihr Kult auf die Ursprungsdiözese beschränkt („unilocal saints“), während er sich bei den meisten auf weitere Diözesen und in einigen Fällen sogar über die Grenzen der jeweiligen Kirchenprovinz hinaus ausbreitete („multilocal saints“). Die Quellengrundlage der Arbeit besteht aus diplomatischen, erzählenden und kunsthistorischen, vor allem aber aus liturgischen Quellen, besonders liturgischen Fragmenten, deren Überlieferungssituation Sara E. Ellis Nilsson ausführlich darstellt (S. 42–55).

Das zweite Kapitel (S. 67–101) nutzt die Autorin dafür, die Heiligen, deren Verehrung Gegenstand ihrer Studie ist, kurz vorzustellen, das heißt, das Leben der/des jeweiligen Heiligen, die Quellenlage sowie die Verbreitung und erste Förderer des Kultes darzustellen. Im dritten Kapitel (S. 103–205) stellt Ellis Nilsson die Verehrung der Heiligen nach Bistümern geordnet dar und stellt unter anderem fest, dass ein Heiliger zwar häufig die Herausbildung einer Bistums-Identität förderte, häufig aber auch die Kulte anderer Heiliger aus Nachbarbistümern begünstigt wurden. Die in den beiden vorhergehenden Kapiteln vorgestellten Ergebnisse werden im vierten Kapitel (S. 207–255) systematisiert, verglichen und auf die im ersten Kapitel formulierten Frage- und Problemstellungen bezogen. Dabei wird nicht nur deutlich, dass die neuen Heiligen den regionalen christlichen Gemeinschaften soziale Kohäsion verliehen, sondern auch, dass die Steuerung und Forcierung der Kulte von der hierarchischen Spitze des jeweiligen Bistums ausgeübt wurde; „the cults were included in Calendars and legends were written at the time they were most needed to legitimize the official church during its establishment” (S. 204).

Der Hauptverdienst der Arbeit besteht darin, sich der äußerst zeitaufwändigen Analyse aller mittelalterlichen Pergamentfragmente Schwedens, Dänemarks und Finnlands gewidmet zu haben. Auf dieser Grundlage konnte – was nur außerordentlich selten möglich ist – die bisher extrem schmale Quellenbasis zur Beurteilung der Verbreitung und Bedeutung der frühen einheimischen Heiligenkulte erheblich erweitert werden. Die Verehrung einiger der untersuchten Heiligen kann, dank der Arbeit von Sara Ellis Nilsson, nun z.B. weiter zurück datiert werden als bisher in der Forschung angenommen, was den neuen, einheimischen Heiligen im Prozess der Christianisierung Dänemarks und Schwedens noch größere Bedeutung verleiht. Die Diskussion der verschiedenen möglichen Interpretationen, die die oft genug sehr spärlichen Quellen zulassen, erfolgt immer ausgewogen und scharfsinnig. Kleinere Fehler unterlaufen in einer solchen Arbeit fast zwangsläufig. So ist etwa die Behauptung, dass „the cults of holy rulers surfaced first in north-west, north and east Europe, which is often referred to as the periphery of Christendom during the early Middle Ages“ (S. 5), nicht ganz richtig – die ersten Königsheiligen traten im merowingerzeitlichen Mitteleuropa auf – und auch die Angabe, Olaf der Heilige sei Co-Patron des Doms in Uppsala gewesen (S. 215), trifft nicht zu. Diese Auffassung wurde zwar wiederholt in der Literatur geäußert, wird aber von keiner Quelle gestützt. Diese sehr seltenen Ungenauigkeiten schmälern jedoch den Wert der Arbeit kaum, die als bisher so nicht vorhandenes Kompendium der frühen Verehrung der nordischen Heiligen ihren Weg in die Bücherregale aller derjenigen finden sollte, die sich mit der Kirchen-, Missions- und Mentalitätsgeschichte des mittelalterlichen Skandinaviens auseinandersetzen möchten.

Anmerkungen:
1 Vgl. etwa Sven Helander, Den medeltida Uppsalaliturgin. Studier i helgonlängd, tidegärd och mässa, Lund 2001; Haki Antonsson, Traditions of Conversion in Medieval Scandinavia. A Synthesis, in: Saga-Book 24 (2010), S. 25–74.
2 Alan Thacker, Loca Sanctorum. The Significance of Place in the Study of the Saints, in: Ders. / Richard Sharpe (Hrsg.), Local Saints and Local Churches in the Early Medieval West, Oxford 2002, S. 1–44; Peter Brown, The Rise of Western Christendom. Triumph and Diversity, AD 200–1000, Oxford 1997, hier: S. 216–232.
3 Vgl. etwa Toni Schmid, Eskil, Botvid och David. Tre svenska helgon, in: Scandia 4 (1931), S. 102–114; Dies., Den helige Sigfrid, Lund 1931; Ellen Jørgensen, Helgendyrkelse i Danmark. Studier over kirkekultur og kirkeligt liv fra det 11te aarhundredes midte til reformationen, Kopenhagen 1909; Dies., Et Breviarium fra Lunde Stift, in: Kirkehistoriske samlinger 6 (1933), S. 482–484.